Greening the Economy. Ökologische Marktwirtschaft in Europa und den USA
Die Finanzkrise hat das Verhältnis von Politik und Wirtschaft auf den Prüfstand gestellt. Die Eingriffe reichen bis zur Verstaatlichung von Banken. In der Klimadebatte hat sich ein umgekehrter Wechsel vollzogen. Viele Experten suchen nach einem Zusammenspiel von Markt und Politik, statt den Markt als Wurzel allen Übels zu kritisieren.
Die Konferenz Greening the Economy. Ökologische Marktwirtschaft in Europa und den USA im Berliner Stiftungshaus der Heinrich-Böll-Stiftung vermittelte den Eindruck, dass dieser Richtungswechsel nicht nur in Deutschland, sondern auch international vorangeschritten ist. Die große Mehrheit der Referenten konnte sowohl wirtschaftspolitische als auch ökologische Expertise und Erfahrung vorweisen. In einem Punkt waren sich die meisten von ihnen einig: Eine rechtzeitige ökologische Erneuerung der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn sich die Innovationspotentiale und das Kapital wettbewerbsfähiger Märkte in einem umweltpolitischen Rahmen entfalten, der ein nachhaltiges Wirtschaften ermöglicht und, wenn nötig, auch erzwingt.
Braucht die Erde ein Preisschild?
Eine ökologische Neuausrichtung der Marktwirtschaft ist nicht nur dringend notwendig, sie muss auch möglichst schnell geschehen. Die beiden Hauptredner der Konferenz, Max Schön und Pavan Sukhdev, ließen kaum einen Zweifel daran, dass der gegenwärtige Verbrauch natürlicher Ressourcen zu irreparablen Schäden an den globalen Ökosystemen führt.
Max Schön, Unternehmer und Vorsitzender der Deutschen Sektion des Club of Rome, prangerte die Ausdehnung des ökologischen Fußabdrucks der Menschheit als eklatanten Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit an. Ohne einen umfassenden gesellschaftlichen Wertewandel werde sich die Zerstörung der Lebenschancen unserer Nachkommen nicht aufhalten lassen. Neben einer Rückkehr zu realistischen Renditeerwartungen in der Wirtschaft forderte Schön unter anderem eine frühzeitige Vermittlung nachhaltiger Denkweisen im Bildungswesen. Um die Kosten des Naturverbrauchs in die ökonomische Preisfindung einfließen zu lassen und regulierende Markteffekte auszulösen, wird es nach Ansicht von Schön zudem unumgänglich sein, natürliche Ressourcen in marktwirtschaftlichen Kategorien zu bewerten. Zertifikate wie beim CO2-Handel und umweltpolitische Steuergesetze seien sinnvolle Instrumente zur politischen Einflussnahme.
Weniger Biodiversität = weniger Wirtschaftsleistung
Auch Pavan Sukhdev, Geschäftsführer der Abteilung Global Markets der Deutschen Bank in Indien, wies auf die dramatischen ökonomischen Folgen der Umweltzerstörung hin. Der fortschreitende Verlust an Biodiversität werde neuen Berechnungen zufolge bis 2050 zu einem beispiellosen Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung führen. Allein die Kosten der Entwaldung betragen demnach bereits heute jährlich über zwei Billionen Euro. Wie Max Schön forderte auch Pavan Sukhdev, dass der Verbrauch natürlicher Ressourcen in ein realistisches ökonomisches Verhältnis gestellt werden müsse. Mit dem neuen Zwischenbericht des von ihm geleiteten Projekts „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB) präsentierte Sukhdev einen ambitionierten Versuch, die globalen Kosten der Ausschöpfung natürlicher Kapitalquellen zu bestimmen. Eine zentrale Erkenntnis der Studie, die mittlerweile als Äquivalent zum Stern-Report gilt: Die Zerstörung von Ökosystemen trifft ärmere Länder besonders hart und muss als eine entscheidende Ursache für die Zunahme der globalen Armut angesehen werden.
Eine von Sukhdevs lehrreichen Schlussfolgerungen war die Forderung nach einem finanziellen Vergütungssystem für ökologische Dienstleistungen, das auf einer globalen Kosten-Nutzen-Analyse beruhen sollte. Auf diese Weise könnte z.B. Brasilien für den Aufwand zum Erhalt des Regenwaldes entschädigt werden, dessen globale Klimafunktion kaum zu überschätzen ist. Auch regional stiftet der Regenwald messbaren Nutzen. So sorgt der brasilianische Regenwald für ausreichende Wasserzufuhr für die Landwirtschaft Argentiniens. Warum sollte Argentinien also nicht für seinen Erhalt zahlen?
Grüne Investitionen – bisher nur eine Nische
Das öffentliche Vertrauen in die globalen Finanzmärkte ist gegenwärtig auf einem Tiefpunkt angelangt. Ohne die Umleitung der Kapitalströme in CO2-freie Industrien werden die von Schön und Sukhdev angemahnten globalen Umwälzungen allerdings kaum zu realisieren sein. Erol Bilecen, Leiter der Abteilung Client Services der Bank Sarasin & Cie AG, verwies auf die wachsende Nachfrage nach grünen Investmentfonds in der Schweiz. Europaweit würden heute bereits nachhaltige Geldanlagen im Wert von 2,7 Billionen Euro verwaltet. Die auf den ersten Blick beeindruckende Zahl wurde allerdings von Thomas Duveau relativiert. Der Referent für Klima und Finanzen beim WWF wies darauf hin, dass die 2,7 Billionen Euro nur 5 Prozent der europäischen Gesamtinvestitionen ausmachen. Duveau berichtete von Beratungsgesprächen in der energieintensiven Industrie, die ihn gelehrt hätten, dass viele langfristige Investitionsentscheidungen allzu oft ohne eine rationale Abschätzung künftiger ökologischer und umweltpolitischer Veränderungen getroffen werden.
Eine Verhaltensänderung könnte nach Ansicht von Thomas Duveau z.B. durch intensive Informationskampagnen und die konsequente Offenlegung des tatsächlichen CO2-Ausstoßes von Unternehmen nach Vorbild des Carbon Disclosure Project herbeigeführt werden. Zudem seien neue Anreize für Unternehmensmanager nötig, um den Fokus vom kurzfristigen Gewinnstreben auf langfristige Investitionsrendite zu verschieben.
Um von vergänglichen Megatrends zu einem breiten Durchbruch nachhaltiger Investitionen zu gelangen, müssten private Anleger ihr Investitionsverhalten ebenfalls ändern. Nach Ansicht von Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, sollte der Staat den Banken vorschreiben, ihre Kunden obligatorisch über ökologische und soziale Aspekte von Investmententscheidungen zu informieren und zu beraten. Ziel müsse es sein, nicht nur die kleine Gruppe problembewusster Investoren, sondern die Normalverbraucher für die ethische Dimension nachhaltiger Investitionen zu sensibilisieren.
Die USA auf der Überholspur?
Die ökologische Krise hat einen globalen Charakter und wird sich deshalb nicht ohne eine enge Kooperation zwischen den großen Wirtschaftsblöcken bewältigen lassen. Auf dem Gebiet von Umweltpolitik und ökologischen Innovationen geben heute vor allem Europa und die USA den Ton an. Die Konferenz legte deshalb einen Schwerpunkt auf das transatlantische Verhältnis und gab amerikanischen Referenten Gelegenheit, wirtschaftliche Projekte und politische Entwicklungen in den USA vorzustellen.
Im Unterschied zu Europa wird die ökologische Entwicklung in den USA vor allem auf lokaler Ebene und von einzelnen Bundesstaaten politisch voran getrieben. Amy Sauer, Energie- und Klimaexpertin am Environmental and Energy Study Institute (EESI), stellte Gesetzesinitiativen zur Förderung von Wind- und Solarenergie in Texas und Pennsylvania vor. Unter der Führung von Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat Kalifornien in den vergangenen Jahren für besonders große umweltpolitische Schlagzeilen gesorgt. Brian Prusnek war als früherer Berater Schwarzeneggers für Klimaschutz, Energie- und Ressourcenpolitik zuständig. Folgende Prinzipien waren Prusnek zufolge entscheidend für die Durchsetzung der ambitionierten Umweltgesetze: die Konzentration auf ganz konkrete ökologische Probleme des Bundesstaates; das gleichzeitige Beschreiten vieler Lösungswege; die langfristige Förderung neuer Geschäftsmodelle, um Anreize für Investitionen in nachhaltig orientierten Unternehmen zu schaffen.
Dynamik der grünen Märkte
Neben politischen Initiativen auf lokaler Ebene spielt in den USA vor allem die Dynamik der neuen grünen Märkte eine wichtige Rolle. Emilie Cassou, Analytikerin bei New Carbon Finance, berichtete, dass die bloße Erwartung von künftigen Gesetzen zur Begrenzung von CO2-Emissionen bereits ausgereicht habe, um die Investitionen in saubere Energien seit 2004 rasant ansteigen zu lassen. Sven Thesen, Director des US-Unternehmens Projekt Better Place, präsentierte ein anschauliches Beispiel für die Risikobereitschaft amerikanischer Investoren. In Detroit und Silicon Valley wetteifern Autobauer derweilen um die Spitzenstellung bei der Entwicklung von neuen und besseren Elektroautos. Auch in Israel und Dänemark wird Thesen zufolge in den kommenden Jahren ein umfassendes Versorgungsnetz aus Batterie- und Ladestationen getestet werden, mit dem aktuelle Elektroautos zweckmäßig und bequem betrieben werden könnten.
Trotz dieses Unternehmergeistes, des vorhandenen Risikokapitals, zahlreicher nachhaltiger Energiequellen und eines effektiven politischen Wettbewerbsföderalismus fehlt in den USA für einen wirklichen Durchbruch auf den grünen Märkten nach Ansicht aller anwesenden Experten vor allem eines: die Unterstützung der Bundesregierung in Washington. Die Hoffnungen auf eine baldige Wende ruhten nicht nur bei Amy Sauer erkennbar auf einem Wahlsieg Barack Obamas. Allerdings hat auch dessen republikanischer Konkurrent John McCain angekündigt, den umweltpolitischen Stillstand in Washington beenden zu wollen.
Wettbewerb ist nicht nur gut fürs Geschäft
Ein Argument im amerikanischen Umweltdiskurs überzeugte auch viele Anwesende in Berlin: Warum sollten die USA die internationale Spitzenstellung in der Produktion von Solarstrom Deutschland überlassen, einem Land mit dem solaren Energiepotential von Alaska? Deutschlands führende Stellung bei der Entwicklung dieser und anderer nachhaltiger Technologien könnte bald in Frage gestellt werden. Bisher profitieren deutsche Unternehmen allerdings vom Öko-Boom in den USA. Thorsten Herdan vom Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) teilte mit, dass Windanlagen nicht nur in Bundesstaaten wie Pennsylvania und Texas exportiert, sondern dort auch von gut ausgebildeten deutschen Fachkräften aufgebaut werden.
Derartige Wettbewerbsvorteile könnten in den kommenden Jahren aufgrund der erstarkenden Konkurrenz schwinden. Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, hielt es trotzdem für falsch, einen verschärften Wettbewerb mit den USA zu fürchten. Die zu erwartenden positiven Wettbewerbseffekte würden eine international tragfähige ökologische Erneuerung weiter beschleunigen.
Politik und Wirtschaft – Wer soll führen?
Ansätze zur Verwirklichung einer ökologischen Marktwirtschaft sind heute sowohl in Europa als auch in den USA erkennbar. Europas aktuelle Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Nutzung von Umwelttechnologien wurde während der Konferenz einhellig auf die Unterstützung durch die Politik zurückgeführt. Mit einer gezielten umweltpolitischen Rahmensetzung sei eine langfristige Nachfragestruktur entstanden, ohne die die umfangreichen Investitionen in grüne Technologien kaum getätigt worden wären. In den USA ist dies in Thorsten Herdans Worten auf Bundesebene schlicht „verpennt“ worden.
Herdan warnte die anwesenden Politiker allerdings auch davor, sich zu übernehmen und zu stark in die Wettbewerbsmärkte einzugreifen. Dies gelte beispielsweise für die Subvention konkreter Umwelttechnologien. Die aktuelle Diskussion über Biokraftstoffe diente vielen Referenten als Beleg für die Tendenz der Politik, auf das falsche Pferd zu setzen. Dr. Carsten Kreklau von der Hauptgeschäftsführung des BDI ging noch einen Schritt weiter und lobte freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft als ideales Werkzeug zur Förderung grüner Investitionen.
Fritz Kuhn, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und Matthias Machnig vom Bundesministerium für Umwelt widersprachen Kreklau und warfen der Wirtschaft ihrerseits vor, Selbstverpflichtungen durch eigene Unglaubwürdigkeit entwertet zu haben. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zeige, dass konkrete staatliche Zielvorgaben so erfolgreich sein können, dass sie mittlerweile in anderen Ländern kopiert werden.
Mitschnitt: 8./9.10.2008, Konferenz: „Greening the Economy“ - Ökologische Marktwirtschaft in Europa und in den USA
Hauptpodium I (08.10.08)1) Begrüßung Ralf Fücks (MP3, 5.50 MB, 12:00 min)
2) Begrüßung Thomas Korbun (MP3, 4.64 MB, 10:08 min)
3) Auftakt Brian Prusnek (MP3, 5.82 MB, 12:43 min)
4) Erster Teil Podium (MP3, 14.1 MB, 30:57 min)
5) Zweiter Teil Podium (MP3, 4.73 MB, 10:20 min)
Innovationspotenziale (08.10.08)
1) Einführung Arne Jungjohann (MP3, 2.97 MB, 06:30 min)
2) Vortrag Sandrine Dixson-Declève (MP3, 4.87 MB, 10:39 min)
3) Vortrag Wolfgang Lohbeck (MP3, 5.49 MB, 12:00 min)
4) Vortrag Kai Gildhorn (MP3, 2.96 MB, 06:28 min)
5) Vortrag Sven Thesen (MP3, 5.59 MB, 12:13 min)
6) Panel (MP3, 5.50 MB, 12:01 min)
7) Diskussion mit Publikum (MP3, 6.71 MB, 14:40 min)
Hauptpodium II (09.10.08)
1) Einführung Pavan Sukhdev (MP3, 29 MB, 63:28 min)
2) Einführung Volker Weber (MP3, 1.79 MB, 03:55 min)
3) Vortrag Emilie Cassou (MP3, 8.01 MB, 17:30 min)
4) Vortrag Gerhard Schick (MP3, 3.53 MB, 07:43 min)
5) Vortrag Erol Bilecen (MP3, 2.85 MB, 06:13 min)
6) Vortrag Thomas Duveau (MP3, 3.60 MB, 07:51 min)
7) Panel (MP3, 6.85 MB, 14:58 min)
8) Diskussion mit Publikum (MP3, 16.0 MB, 34:57 min)
Abschlussdiskussion (09.10.08)
1) Teil 1 (MP3, 5.63 MB, 12:19 min)
2) Teil 2 (MP3, 12.6 MB, 27:32 min)
3) Teil 3 (MP3, 13.4 MB, 29:18 min)